Beim Treffen der Spitzenverbände der deutschen Wohnungswirtschaft in Berlin und der Bundesregierung hatten die Bauherren ordentlich Panik im Gepäck – und Milliarden-Forderungen.
Der deutsche Wohnungsbau hat bereits Monate voller Hiobsbotschaften hinter sich. Mittlerweile hat die Branche eine gewisse Übung darin, sie zu verkünden. Von der „Grauen Wohnungsnot“ der Babyboomer warnte sie bereits, ebenso vor wachsender „Wohn-Armut“. Dann wieder beklagte man den Einbruch bei den Baugenehmigungen: Ein „Gau am Bau“ ließe sich kaum noch verhindern. Doch damit nicht genug. Zum Wohnungsbau-Tag am Donnerstag in Berlin brachten die Spitzenverbände der Wohnungswirtschaft eine weitere Katastrophen-Botschaft mit: „Die Situation ist so schlecht wie noch nie“, vermelden sie. „Dem Wohnungsbau droht der Absturz“.
Die Stimmung ist düster unter den Geschäftsführern, etwa beim Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), beim Deutschen Mieterbund und beim Zentralverband des deutschen Baugewerbes (zdb). Hatten die Manager die damals noch neue Bauministerin Klara Geywitz (SPD) vergangenes Jahr mit wohlwollenden Vorschlägen empfangen, wollten sie der Ministerin nur noch einen frostigen Katalog mit Forderungen überreichen. Samt der Prophezeiung: Ohne beherzte Schritte in die richtige Richtung drohe bald der „Kipppunkt“.
Um diese Position zu untermauern, hat das Bündnis eine eigene Studie präsentiert. Erstellt hat sie das Wohnungs- und Bauforschungsinstitut Arge aus Kiel: 400.000 neue Wohnungen im Jahr seien ein gutes Ziel der Bundesregierung gewesen, heißt es darin. Doch Geywitz und die Koalition hätten seitdem kaum richtige Antworten gefunden: weder auf die Folgen der Coronapandemie noch auf die Lieferketten-Probleme bei Bau-Grundstoffen, den russischen Angriffskrieg, die Inflation und natürlich die Zinswende.
Der Fehlbedarf an Wohnungen in Deutschland sei mittlerweile auf 700.000 angewachsen. Statt aber mehr zu bauen, drohe der Zusammenbruch. Etwa beim Personal: „Der Beschäftigungsabbau geht rasend schnell. Er läuft auf dem Bau sechs Mal schneller als der Personal-Aufbau“, warnt Arge-Geschäftsführer Dietmar Walberg. „Geht der Bau jetzt in die Knie, dann dauert es Jahrzehnte, bis er wieder auf die Beine kommt.“
Ohne Masterplan, schreibt die Arge weiter, kippe das bestehende System bei nächster Gelegenheit. Eine Deckung des Bedarfs in Deutschland, insbesondere für bezahlbaren Wohnraum, sei dann langfristig nicht mehr möglich. Anders ausgedrückt: Es bestehe die „dringende Gefahr eines bauwirtschaftlichen, systemischen Produktivitätskollapses“.
Schwere, harte Kost ist das, die weit über das übliche Klagen hinaus geht. Und die Antwort im Sinne der Branche? Ein „Milliarden-Booster“. Der Staat müsse mehr finanzieren, fordert die Arge. Es brauche Förderprogramme „in ganz anderer Größenordnung als bisher“, um die Nachfrage zu stützen. Dazu Investitionen in die Kapazitäten von Planung, Bau und Produktion. Kommunen sollten Bauland schneller ausweisen und Nachversiegelungen ermöglichen. Leichtere Baugenehmigungen, weniger Bürokratie – so das Mantra.
„Ruf nach staatlicher Unterstützung nach goldenen Jahren“
Konkret seien allein für den sozialen Wohnungsbau bis 2025 mindestens 50 Milliarden Euro an Fördermitteln in Form eines Sondervermögens notwendig, fordert das Verbändebündnis. Dazu noch einmal 22 Milliarden für Wohnungen mit einer Kaltmiete zwischen 8,50 und 12,50 Euro. Auch gelte es, jene rund 900.000 Wohnungen zu bauen, die trotz erteilter Genehmigung zu einem Großteil bisher nur auf dem Papier existieren. Neue Zahlen des ifo-Instituts bestätigen: Aktuell meldeten 16 Prozent der Unternehmen abgesagte Aufträge. „Reihenweise werden die Bauvorhaben auf Eis gelegt, weil sie nicht mehr finanzierbar sind“, schreibt das Bündnis. Und fordert eine ‚Wohnungsbau-Soforthilfe‘, also ein Förderpaket mit Zuschüssen und günstigen Krediten.
Erst die Panik, dann die Geldforderung? Hört man sich in Berlin um, klingt die Verzweiflung plötzlich gar nicht mehr so groß. Zwar sieht man auch in Koalitionskreisen die Belastung wegen hoher Zins- und Baustoffkosten, spricht aber in Bezug auf die Branche von einem „Ruf nach staatlicher Unterstützung nach goldenen Jahren“.
Die baupolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Christina-Johanne Schröder, etwa glaubt nicht an die Lösung durch einen neuen Geldregen. „Die vielen Steuermilliarden für die Neubauförderung haben in der Vergangenheit nicht zu mehr bezahlbaren Wohnungen, zum Erreichen der Klimaziele und auch nicht zu mehr Wohneigentumsbildung geführt“, sagt die Politikerin. Stattdessen habe es „vielfach Mitnahmeeffekte für hochpreisige Wohnungen und Einfamilienhäuser gegeben.“
Auch sei der Neubau allein nicht die Lösung. „Selbst unter traumhaften Zins- und Subventionsbedingungen hat es die Immobilienbranche nicht auf 400.000 neu gebaute Wohnungen gebracht“, kritisiert Schröder. Stattdessen plädiert die Grüne für mehr Sanierung. Eine Forderung, die so übrigens von der Industrie selbst noch im vergangenen Jahr noch weit oben auf die Agenda gehoben wurde.
Auch FDP-Bauexperte Daniel Föst verweist auf Anfrage auf bereits existierende Förderprogramme. Neben den 14,5 Mrd. Euro, die der Bund für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stellt, kommen die Mittel der Länder und die KfW– und BAFA-Förderungen in Milliardenhöhe. „Zudem haben wir die lineare Afa erhöht, eine Sonder-Afa für den klimafitten Neubau auf den Weg gebracht und auch die Neubauförderung läuft wieder an“, sagt Föst. Und verspricht den Bauherren: „2023 muss zum Jahr der Beschleunigung und Kostensenkung beim Bauen werden.“ Die Konzepte dazu würden in Berlin auf dem Tisch liegen.
Quelle: Wirtschaftswoche (wiwo.de), Max Biederbeck-Ketterer, Korrespondent im Hauptstadtstudio