Preise enteilen Mieten: Überhitzen die Wohnungsmärkte?

Der Immobilienboom hält an, die Kaufpreise enteilen weiter den Mieten – besonders rasch in den sieben größten deutschen Städten. In den „Top 7“ müssen beim Wohnungskauf schon bis zu 40 Jahresmieten berappt werden, heißt es im „Postbank Wohnatlas“. Sind das die viel zitierten Überhitzungstendenzen?

Die Preise für Wohnimmobilien steigen unbeeindruckt von den Maßnahamen gegen die Corona-Pandemie weiter; das ist schon fast eine Binse. Sorgen macht Experten vielerorts jedoch, mit welcher Geschwindigkeit die Kaufpreise die Mieten immer weiter hinter sich lassen.

Gradmesser für das Verhältnis von den regionalen Kaufpreisen zu den Mieten ist der sogenannte Vervielfältiger: Er zeigt, wie viele Jahresnettokaltmieten für eine gleich große Eigentumswohnung im Bestand durchschnittlich zu zahlen wären. Über alle deutschen Kreise und kreisfreien Städte hinweg lag der Vervielfältiger im Jahr 2020 bei 25,7 Jahresnettokaltmieten, heißt es im „Postbank Wohnatlas 2021“ – 2019 waren es noch 24. Damit sind die Kaufpreise insgesamt erneut stärker gestiegen als die Mieten. Die Studienautoren sehen in den Großstädten Anzeichen einer Überhitzung.

Seit 2017 hat sich den Experten zufolge der Vervielfältiger pro Jahr um rund eine Jahresmiete erhöht; die Quote wurde im Vergleich der Jahre 2020 und 2019 mit einem Plus von 1,7 Jahresmieten noch getoppt. Eine Trendumkehr erwarten die Autoren des „Wohnatlas“ nicht.

Überhitzungstendenzen in den „Top 7“: Die Dynamik beschleunigt sich

„Allenfalls regional könnten pandemiebedingte Konjunktureinbrüche in bestimmten Branchen zu Anpassungen führen, wenn die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte stark in Mitleidenschaft gezogen werden sollten. Das würde die Nachfrage nach Wohnraum abschwächen“, prognostiziert Eva Grunwald, Leiterin Immobiliengeschäft bei der Postbank.

Besonders rasch enteilen die Kaufpreise der Studie zufolge derzeit in den sieben größten deutschen Städten, den sogenannten „Top 7“ (Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München, Stuttgart) dem Mietniveau. Im Vergleich zum Vorjahr liegt das Plus im Schnitt über die sieben Städte bei zwei Jahresmieten.

Das „Top-7“-Ranking führt erstmals Berlin an: Knapp 40 Jahresmieten wurden im Jahr 2020 für den Kauf einer Wohnung fällig. Die Hauptstadt verzeichnet mit einem Plus von rund vier Jahresmieten im Vergleich zum Vorjahr den stärksten Anstieg. Wesentliche Ursache für diese Dynamik sei der Berliner Mietendeckel, der ab Februar 2020 galt und im April 2021 vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden ist. „Diese Regelung führte zu einem Rückgang der Nettokaltmieten binnen Jahresfrist um mehr als vier Prozent und damit zu einem sehr hohen Anstieg des Vervielfältigers in der Bundeshauptstadt“, schreiben die Studienautoren.

Preisniveau in deutschen Großstädten („Top 7“): Vervielfältiger

RangStadtVervielfältiger 2020Vervielfältiger 2019Vervielfältiger 2018Vervielfältiger 2017
1Berlin39,7 35,5 32,6 30,8
2München38,537,236,234,2
3Hamburg38,436,033,231,6
4Frankfurt/Main35,033,531,429,3
5Düsseldorf33,431,329,928,4
6Köln29,528,226,825,7
7Stuttgart28,727,727,526,4

Quellen: Value AG Marktdatenbank (2021); Berechnungen HWWI

Auch in deutschen Städten abseits der „Top 7“ liegen die Kaufpreise im Vergleich zu den Kaltmieten auf hohem Niveau: In 23 Städten ab 20.000 Einwohnern mussten Käufer im vergangenen Jahr 30 Jahresmieten und mehr aufbringen.

Zu den im Verhältnis zum örtlichen Mietniveau teuersten Großstädten ab 100.000 Einwohnern zählen neben Berlin, München, Hamburg, Frankfurt und Düsseldorf auch Rostock (Vervielfältiger 36,1) und Potsdam (32,8). Unter den Top Ten finden sich zudem die Mittelstädte Rosenheim (34,3), Landshut (33,3) und Baden-Baden (32,7).

Je niedriger der Vervielfältiger, desto höher die Erträge für Vermieter

Für Selbstnutzer verkürzt sich der Zeitraum, bis sich ein Kauf gegenüber der Mietzahlung rechnet, je niedriger der Vervielfältiger ausfällt. Vermieter, die mit den Mieteinnahmen ein Wohnimmobilie finanzieren wollen, realisieren bei niedrigem Vervielfältiger höhere Erträge.

Bundesweit reicht die Spanne von knapp zwölf Jahresnettokaltmieten für den Kauf einer Eigentumswohnung im Landkreis Mansfeld-Südharz (Sachsen-Anhalt) bis zu 75 im Landkreis Nordfriesland (Niedersachsen), zu dem auch die begehrten Lagen auf Sylt, Föhr und Amrum gehören. Die Experten sprechen derzeit bei einem Vervielfältiger von weniger als 25 von einem moderaten Kaufpreisniveau gemessen an den örtlichen Nettokaltmieten. „Höhere Vervielfältiger können auf eine Überhitzung des regionalen Marktes hinweisen“, so Grunwald.

Noch relativ günstige Objekte im Vergleich zum örtlichen Mietniveau finden sich teils rund um Berlin und Hamburg in den angrenzenden Landkreisen. Im Landkreis Märkisch-Oderland in Brandenburg etwa liegt der Vervielfältiger bei 26. Im Herzogtum Lauenburg vor den Toren Hamburgs werden für Wohneigentum im Schnitt 24,7 Jahresmieten fällig, in Stade 24,9 und in Pinneberg 25. Weniger groß sind die Chancen im Umland von München. In den angrenzenden Landkreisen rangiert der Vervielfältiger nirgendwo unter 35. Der Landkreis Starnberg weist mit 39,5 sogar einen höheren Vervielfältiger auf als die bayerische Landeshauptstadt selbst.

Unter den Großstädten ab 100.000 Einwohner sind Gelsenkirchen (Vervielfältiger: 18) und Salzgitter (19,1) noch erschwinglich. Zwischen 20 und 21 Jahresmieten rangieren die Durchschnittspreise für Wohneigentum in Bremerhaven, Duisburg, Oberhausen, Hamm, Bochum, Chemnitz und Wuppertal. In insgesamt 41 Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern liegt der Vervielfältiger im aktuellen „Wohnatlas“ unterhalb dem von den Experten festgelegten Grenzwert von 25 für vergleichsweise moderate Preise.

Der „Postbank Wohnatlas“ ist eine jährlich erscheinende, mehrteilige Studienreihe. Für den vorliegenden dritten Studienteil hat das Hamburger WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) die Entwicklung des Vervielfältigers zwischen 2019 und 2020 in den 401 deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten analysiert.

Quelle: HAUFE

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